<Selbst meine Bekannten in Moskau, die nie wieder die Kommunisten wählen wollen, erinnern sich an vergangene Tage mit Nostalgie. Da waren die Weltjugendfestspiele, das ist nun schon vierzig Jahre her, da haben sie auf den Straßen getanzt, und das war schön, auch wenn die Festspiele bald wieder zu Ende gingen.> S. 11
<Moskauer über dreißig vermieden noch immer Kontakte mit Ausländern, aber die Jüngeren waren unbefangener und neugierig, besonders seit sie bei den kommunistischen Weltjugendfestspielen erlebt hatten, wie einige tausend junge Ausländer auf Moskaus Plätzen, in der Uni und in den Kulturparks tanzten und diskutierten.> S.62 (Gerd Ruge: Weites Land. Russische Erfahrungen, Russische Perspektiven. Droemer München 1998)
Meine eigene Sichtweise der Sache sieht folgendermaßen aus: Zur Zeit Chruschtschows gab es in der Sowjetunion schon erste starke ‘Winds of Change’. Und ich glaube Chruschtschow selber hat die Festival-Idee wirklich ernst gemeint. Im Rahmen dieser neuen Entwicklung feierte die Moskauer Bevölkerung bei diesem Festival weniger die Festivalteilnehmer als solche (wie der äußere Anschein nahelegt - siehe die folgenden Bilder) sondern vielmehr ihre eigene neue gesellschaftliche Entwicklung hin zu Weltoffenheit und allmählicher Auflösung der stalinistischen Unterdrückung.
Die Choreografie der Eröffnung gestaltete sich folgendermaßen: Die Festivalteilnehmer, die im Hotel-Areal ‘Lushniki’ wohnten (wozu auch ich gehörte) wurden am Sa 28. Juli ab 11:45 Uhr auf offenen Lastwagen durch die Stadt transportiert. Andere Festivalteilnehmer fuhren in Bussen anderswo ab. Irgendwann vereinigten sich Busse und Lastautos. Wir starteten in der Nähe der Allunionsausstellung und fuhren dann langsam durch die ganze Innenstadt bis zum ‘Leninstadion’ (heute: ‘Olympiastadion Luzhniki’). Hunderttausende Moskauer hatten offenkundig ein großes Interesse an den ausländischen Gästen aus 131 Nationen: sie säumten die Straßen und winkten den Festivalteilnehmern zu, die an ihnen auf den offenen Lastwagen (bzw. Bussen) vorbeidefilierten. Das Wetter spielte auch mit: Es gab keinen einzigen Regenguß, der im Sommer in Moskau gern mal als Überraschungsjoker auftritt. - Nachmittags um halb 4 dann begannen die einzelnen Delegationen freudig in das Leninstadion einzuziehen und allmählich den Rasen zu füllen. Nach und nach nahmen die Gäste ihre Sitze bei den anderen Zuschauern in den Rängen ein, um für weitere Delegationen Platz zu machen, die auf den Rasen einzogen. - Es wurden etliche Ansprachen gehalten und dann wurde das Festival feierlich eröffnet und eine Heerschar von 25.000 Tauben (als Symbol des Friedens) flatterte in den Himmel. Vermutlich wurde in diesem Moment auch die Festivalhymne angestimmt. - Dann leerte sich der Rasen von den letzten Delegationen und es begannen die überaus kunstvollen Darbietungen, die sich bis in die Nacht hineinzogen.
Hier sieht man die Route unserer Lastwagen (in rot gezeichnet), die wir nach meinem Dafürhalten durch Moskau gefahren sind. Oben das rechte und das hintere der drei Gebäude symbolisieren die Allunionsausstellung und unten links in der Moskwa-Schleife ist das Leninstadion.
Hinter den Germanskis kommen die Grekos. - Rechts kommt gerade eine bajuwarische Trachtengruppe angedappelt.
Das vordere Motorrad hat das Schild ‘Honduras’, das hintere “Griechenland”. Links marschiert eine Dudelsack-Kapelle vorbei:
Die Kolonne ist in Fahrt gekommen. Uns folgen die Griechen. Auf dem Bild hinten erkennt man den markanten Haupteingang zur Allunionsausstellung (Pfeil: Bäuerin und Traktorist mit Getreidebündel über ihren Köpfen).
Wir sind hier noch ziemlich in den Außenbezirken Moskaus:
Selbst auf den Dächern stehen hier die Moskauer!
Wir nähern uns dem ‘Komsomolskaja-Platz’. Vor uns das Hochhaus ist das ‘Leningradskaja-Hotel’ (heute: ‘Hotel Hilton Leningradskaya’). Dieser Platz mit seinen 3 Bahnhöfen und der Metro-Station ist ein wichtiges Zentrum von Moskau.
Jetzt sind wir am Komsomolskaya-Platz vorbei
Hier sieht man, wie auch Busse zusammen mit den Lastwagen fahren.
Dieses Bild und einige andere folgende stammen aus Festival-Zeitungen und Prospekten jener Tage
Es gibt bei YouTube übrigens auch einen Film über diese Eröffnung.
Und noch einen
Beim Eintreffen der ersten Festival-Delegationen auf dem Rasen sind die Stadionränge schon ziemlich voll. Es gehen dort ca. 84.000 Menschen rein. Es gab 34.000 Festivalteilnehmer. Auf der Anzeigetafel (neben der Uhrzeit 15:37) steht “MIR”, d.i. “Frieden”.
In der speziellen Prominentenloge sind u.a. Woroschilow, Bulganin und Chruschtschow. Woroschilow (Staatsoberhaupt) hielt eine Ansprache an die Festivalteilnehmer).
Ich persönlich bin ja der Ansicht, diese unfassbare Reichhaltigkeit und organisatorische Perfektion des Festivals hatten wir Chruschtschow zu verdanken! Ich denke, er selber glaubte an die Friedensmission des Festivals.
Offizielle Postkarte von den Weltfestspielen
Die ägyptische Delegation hat ein großes Bild von ihrem Staatspräsident Nasser in das Stadion mitgebracht. Im Übrigen ist festzustellen, daß es auf dem Festival und in Moskau zu der Zeit prinzipiell keine politische Propaganda im engeren Sinne gab! Der Nasser hier ist wirklich eine Ausnahme.
25.000 Tauben machen um 18:00 Uhr die Flatter, die weiße Festival-Flagge mit dem Festival-Emblem wird über “MIR” gehißt und die Festivalhymne wird gemeinsam in allen Sprachen angestimmt: Die “6. Weltfeststpiele der Jugend und Studenten” sind damit eröffnet! - Nachdem der Rasen sich geleert hat, fangen die Darbietungen an.
Rechts über der Anzeigetafel sieht man jetzt die Festivalflagge:
(Aus Festival-Zeitschrift)
Damit endete die Eröffnungsfeierlichkeit
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