Unsere Abfahrt gestaltete sich etwas prosaisch am 23.07.1957 morgens auf einem Ostberliner Güterbahnhof:

Mein Schulfreund, dem ich die Idee zu dieser Reise zu verdanken habe:

Hier ein Foto von mir selber:

Vor der Abreise spricht Prof. Klara Marie Faßbinder, die seit der Zeit nach dem 1. Weltkrieg zur deutschen Friedensbewegung gehörte. Sie sprach vom Unrecht auf beiden Seiten während des Krieges. Und daß wir uns die Hand reichen sollen. Auch sprach sie von den Maßnahmen der offiziellen Bundesrepublik gegen das vorbereitende Komitee der Weltfestspiele in Westdeutschland. - Anschließend sprach die Ehefrau von Prof. Franz Paul Schneider in Vertretung ihres Mannes, der verhaftet ist. - Um 10 Uhr fuhr der Zug ab.

In dem Zug fuhren sowohl Teilnehmer der westdeutschen Delegation als auch Teilnehmer aus Ostdeutschland, die in der Regel Mitglieder der FDJ (Freie Deutsche Jugend) waren. Hier im Abteil sitzen einige FDJ’ler:

Bahnhof Frankfurt/Oder an der Grenze der DDR zu Polen. Dort waren wir um 11:15 Uhr. - Der Kollege in den Kniggerbockern, vorne, gehörte vermutlich zur ‘Naturfreundejugend Deutschlands’.

Unsere Ankunfts-Stadt in Polen war Rzepin. Hier hatten wir einen tollen Empfang und außerdem bekamen wir ein wunderbares Freßpaket mit dünnen Kabanosy-Würstchen, gekochten Eiern, dazu gutes schwarzes Brot. - Das blonde Mädel vorne in der Mitte war Mitglied der ‘Falken’ (ich glaube Hamburg).


Echt freundliche Leute waren auch diese Pfadfinder:

Um 13:32 Uhr, nach Passieren der polnischen Grenze stellten wir unsere Uhren um 1 Stunde vor: Es war also 14:32 Uhr osteuropäischer Zeit. Als wir von Rzepin weiterfuhren war es 15:40. - In Rzepin wurde 1 Stunde getanzt und gesungen. Es war großartige Stimmung! - Später ab Posen (heute Poznan) gab es im Zug schwere Diskussionen bis nachts um 1 Uhr.

Irgendwann bei einem Halt in Polen hatten wir dann auch diese Zugbeschriftung. Statt in den Krieg (wie bei den üblichen deutschen Zugbeschriftungen aus ‘glorreicher’ Vergangenheit) zogen wir jedoch nach Moskau, um den Frieden zu erobern. Denn das Motto des Festivals war: “Für Frieden und Freundschaft” oder auf russisch “Za Mir i Drushba”.

Um 7:40 hielt der Zug in Terespol, der polnischen Grenzstadt zur Sowjetunion. Hier gab es noch eine Paßkontrolle der Polen, dann ging es weiter. Nach Überqueren des Grenzflusses Bug in Richtung Brest fotografierte ich dieses Begrüßungsbild für die Festivalteilnehmer (im Hintergrund der Bug):

Auch an der sowjetischen Grenze stellten wir wieder die Uhren um eine Stunde vor: von 8:40 auf 9:40. Am Mittwoch 24.07.1957 um 10:35 waren wir in Brest. Hier sollten wir den Zug wechseln, der in der Sowjetunion eine andere Spurweite hat als im westlichen Europa einschließlich Polen. - Der Empfang in Brest war überwältigend!




In der Mitte haben wir wieder unser fröhliches Falken-Mädchen. Sie hat ihr Blauhemd an mit dem aufgestickten Falken-Logo auf der Brusttasche. Dazu ein rotes Halstuch mit Knoten. Die russische Ziehharmonika-Spielerin lebt hier auch richtig auf!

Der Zug rechts ist übrigens der sowjetische Liegewagenzug, mit dem wir nach Moskau weiterfuhren. Er war sehr komfortabel, mit je vier weiß bezogenen Liegen samt Bettzeug in jedem Abteil. In jedem einzelnen Waggon gab es eine weißbekittelte freundliche Frau, die die Fahrgäste mit heißem Tee aus einem Samowar, den sie in einem kleinen Sonderabteil hatte, versorgte. Zudem gab es noch einen Speisewagen, den wir jederzeit aufsuchen konnten und wo wir kostenlos bewirtet wurden.
Eine Stunde dauerte dieses schöne Freundschaftstreffen zwischen Deutschen und Russen in Brest. Um 11:30 Uhr war unsere Abfahrt. Unterwegs hatten wir noch etwa 6 Aufenthalte auf Bahnhöfen, die meist von zahlreichen Menschen besucht waren, darunter Minsk um ca. 19 Uhr. Gegen 20 Uhr war unser letzter Bahnhofsaufenthalt bei Tag, dann fuhren wir in den Abend hinein und in die Nacht. Über den weiten russischen Ebenen und Feldern erschien tatsächlich ein roter Mond! - Um 2 Uhr kamen wir in Smolensk an, wo wir eine halbe Stunde Aufenthalt hatten. Davon merkte ich aber nix, da ich ab 22 Uhr auf meiner oberen Schlafpritsche in Fahrtrichtung bis morgens um halb neun durch schlief.

Der erste Bahnhof an dem wir Halt machten war Byaroza-Kartuzskaja - um ca. 13 Uhr:



Eine Stalin-Büste und ein intelligenter Russe, der mich interessiert beim Fotografieren beobachtet:

Hier noch die zu Stalin symmetrische Lenin-Büste:

Ein Bahnhof, dessen Namen ich nicht weiß:

Noch ein mir unbekannter Bahnhof:

Ein weiterer mir unbekannter Bahnhof:

Jetzt also sind wir in Minsk, der Hauptstadt von Weißrußland (Belarus). Wie man auf der Bahnhofsuhr erkennt, ist es 19:10. Wir hatten hier über eine Stunde Aufenthalt (ab ca. 18:15). Eine Kapelle spielte und es wurde gesungen.





Unser letzter Halt bei Tage war gegen 20 Uhr (evtl. Bahnhof Smalyavichy). Allerdings scheinen die Leute hier auf ihren eigenen Zug zu warten statt an irgendwelchen Festivalteilnehmern interessiert zu sein.

Donnerstag, 25.07.1957, morgens 9:50 - Ankunft am Belorusski Woksal (Weißrussischer Bahnhof) in Moskau. Empfang mit vielen Blumensträußen.



Wir werden vom bekannten westdeutschen Verleger Ernst Rowohlt “in der schönen Stadt Moskau” begrüßt:


Die junge Frau hier vorne mit den aufgekrempelten Ärmeln ihres Blauhemdes gehört zur FDJ.

Unsere Busse zu unserer Unterkunft, dem Hotelkomplex ‘Wostok’ (Vostok Hotel) am damaligen Stadtrand.

Jetzt also war ich tatsächlich in Moskau!
Bild vom Komsomolskaya-Platz, mit dem Kasaner Bahnhof (links). Das dominante Hochhaus ist das Leningradskaya-Hotel

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